Verhandlung
Konfliktlösung ohne vermittelnden oder entscheidenden Dritten.
Der Versuch, durch zweiseitige Verhandlungen mit der Gegenseite Lösungen zu finden, sollte am Beginn jeder Konfliktbehandlung stehen. Versäumnisse oder Fehler auf dieser niedrigsten Stufe können dazu führen, dass Konflikte eskalieren und in belastende, zeit- und kostenintensive Auseinandersetzungen münden. Ein Gerichtsverfahren einzuleiten, ohne der Gegenseite Gelegenheit zur freiwilligen Erfüllung des Anspruchs gegeben zu haben, kann die Belastung mit hohen Gerichtsgebühren und Anwaltskosten der Gegenseite zur Folge haben. Auch die voreilige, nicht abgestimmte Einleitung eines außergerichtlichen Verfahrens kann die Chance auf eine schnelle und kostengünstige Konfliktbeilegung vereiteln.
In welcher Form verhandelt wird, hängt von der Art des Konflikts und der Beziehung zwischen den Beteiligten ab. Im Geschäftsverkehr reicht es oftmals aus, schriftlich, per E-Mail oder Videokonferenz zu verhandeln, während bei Konflikten im persönlichen Bereich die unmittelbare Kommunikation bessere Erfolgsaussichten bietet.
Selbstverständlich ist es immer möglich, sich durch einen Anwalt oder eine Anwältin vertreten zu lassen. Zumindest das erste Verhandlungsangebot sollte aber persönlich übermittelt werden, ggf. versehen mit dem Vorschlag, die Verhandlung durch Anwälte beider Seiten führen zu lassen. Eine spezielle Form anwaltlichen Verhandelns bietet die sog. Cooperative Praxis.
Die Gegenseite wird sich darauf nur einlassen, wenn sie den Eindruck gewinnt, dass das Verhandlungsangebot ernst gemeint ist und eine Offenheit für Verhandlungslösungen besteht. Ultimative Forderungen und persönliche Animositäten sind daher unbedingt zu vermeiden. Der konkrete Vorschlag eines persönlichen Treffens, ggf. mit anwaltlichen Vertretern, führt eher zum Ziel als der allgemeine Wunsch, „mal über die Sache zu reden“. Wird ein Rechtsanwalt oder eine Rechtsanwältin eingeschaltet, sollte abgesprochen werden, dass zunächst nur auf Verhandlungen hingewirkt und wie das entsprechende Angebot übermittelt werden soll.
Verhandeln in einer Konfliktsituation erfordert ein planvolles Vorgehen. Dieses ist abhängig vom Gegenstand des Konflikts. Wird lediglich um die Höhe einer Forderung gestritten, kann sich ein kompetitives Verhandeln empfehlen, bei dem man sich von entgegengesetzten Positionen aus aufeinander zu bewegt.
Näher zum kompetitiven Verhandeln
Eingestiegen wird selbstverständlich mit einem Betrag, der im oberen Bereich der eigenen Vorstellungen liegt. Überhöhte Forderungen bergen aber die Gefahr, dass die andere Seite verärgert aus den Verhandlungen aussteigt.
Ob man als Erster einen Betrag nennen oder besser das Einstiegsangebot der anderen Seite abwarten sollte, hängt von den Umständen ab. Grundsätzlich ist es ratsam, mit dem Erstangebot gleich eine bestimmte Größenordnung vorzugeben, einen „Anker“ zu setzen, insbesondere wenn hierfür keine objektiven Vorgaben bestehen. Ist jedoch klar, in welcher Größenordnung die auszuhandelnde Summe etwa liegen wird, kann es sinnvoll sein, die andere Seite vorlegen zu lassen und das eigene Angebot so zu bemessen, dass man sich voraussichtlich etwa in der Mitte treffen wird.
Eine kurze Begründung des Einstiegsangebots (z.B. Hinweis auf Vergleichsfälle) kann die Wirkung des „Ankers“ verstärken.Es kann sich auch empfehlen, keine feste Summe, sondern eine Spanne (z.B. 10.000 bis 12.000 Euro) zu nennen. Dann kann schon im Heruntergehen auf den niedrigeren Betrag ein Entgegenkommen gesehen werden.
Für den Fall, dass die schrittweise Annäherung kurz vor Erreichen der Übereinkunft ins Stocken gerät (sog. „letzte Angebote“), ist an eine Erweiterung des Verhandlungsgegenstands (im Sinne kooperativen Verhandelns) zu denken (z.B. eine Zugabe oder Zahlungserleichterung), evtl. Übergang in ein Leistungsbestimmungsverfahren.
In allen anderen Fällen verdient regelmäßig das kooperative Verhandeln den Vorzug, bei dem ergebnisoffen nach kreativen Lösungen gesucht wird, die den beiderseitigen Interessen am besten entsprechen.
Näher zum kooperativen Verhandeln
Grundlegend für den Erfolg sind die Prinzipien des Harvard-Konzepts:
- Trennung von Verhandlungsgegenstand und Beziehungsebene
- Konzentration auf Interessen statt auf Positionen
- Entwicklung möglichst vieler Optionen (ohne Bewertung )
- Einigung auf Grundlage objektiver Bewertungskriterien
Erleichtert wird eine Einigung, wenn sich durch das Einbeziehen weiterer Verhandlungsgegenstände („Kuchenvergrößerung“) win-win-Lösungen (die für beide Seiten Vorteile bringen) erzielen lassen.
Beide Verhandlungsstile sind inkompatibel. Ein erfolgreiches Verhandeln ist nicht möglich, wenn der eine Teil kompetitiv, der andere kooperativ verhandelt. Man muss sich daher über die Methode verständigen oder dem Vorgehen der anderen Seite anpassen. Möglich ist auch der Übergang von einem zum anderen Stil sowie eine abgestimmte Kombination: Wenn z.B. nach einer kooperativ ausgehandelten Lösung noch Differenzen bei der Höhe eines Anspruchs bestehen, können diese u.U. durch kompetitives Verhandeln ausgeräumt werden.
Solange die Parteien miteinander verhandeln, wird die Verjährung des betreffenden Anspruchs gehemmt; werden die Verhandlungen abgebrochen, kann Verjährung frühestens nach drei Monaten eintreten (§ 203 BGB). Das einseitige Auffordern zum Verhandeln hemmt die Verjährung noch nicht; die andere Seite muss sich darauf in irgendeiner Weise einlassen. Eine Beendigung des Verhandlens kann auch darin liegen, dass eine Seite nicht mehr reagiert, obwohl eine weitere Erklärung zu erwarten wäre.
Das Harvard-KonzeptFisher/Ury/Patton, 6. Aufl. 2018, ISBN 978-3-421-04828-8 (Bibliothek finden)
VerhandlungsmanagementBühring-Uhle/Eidenmüller/Nelle, 2. Aufl. 2017, ISBN 978-3-423-50763-9 (Bibliothek finden)
Verhandlungs- und Konfliktmanagement für AnwälteGreger/von Münchhausen, 2010, ISBN 978-3-406-60188-0 (Bibliothek finden)
Learning to negotiateVerkel, 2021, ISBN 978-1-108-81107-1 (Bibliothek finden)
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